Eure Zukunft:
ein schmaler Grat
zwischen Wollen und Müssen,
zwischen Schritt und Sturz.
Ein Raum, der sich öffnet,
um euch zu verschlingen.
Für euch ein Ziel.
Für mich ein Abgrund,
den ich sehe und nicht verstehe.
1920, Fotoatelier M. Weiland, Pappelallee 85.
Ihr sitzt dort,
zusammengelegt wie Figuren in einem Schaukasten,
wiedervereint,
die erste Katastrophe überlebt,
sachlich und stolz,
als würde das Bild euch festhalten,
euch bewahren –
vor der Zeit, vor dem Bruch.

Doch es hält euch nicht.
Ihr seid schon verloren,
schon gezeichnet.
Eure Gesichter sind glatt,
aber die Zukunft arbeitet schon daran,
euch zu falten,
euch zu zerreißen.
Ihr wisst nichts.
Nicht von dem, was kommen wird,
nicht von dem Gewicht der Ereignisse,
die auf euch niedergehen werden
wie Steine auf dünnes Eis.
Nicht von den Freunden,
die euch zu Verrätern machen
oder selbst welche werden.
Nicht von der Geschichte,
die euch aufrollen wird
wie Papier im Feuer.
Michael. Mia.
Ihr werdet sprechen,
sagen, es sei anders gewesen.
Sagen, es musste so sein.
Ihr werdet Worte finden,
wie ein Seemann Holz für sein Schiff.
Aber es wird euch nicht tragen.
Das Foto,
ein Monument des Verschwindens.
Das Licht hat euch entfärbt,
die Zeit hat euch entblößt.
Doch der Blick bleibt.
Ein Blick, der nicht fragt,
aber alles weiß.
Ich sehe ihn,
und er sieht zurück.
Und zwischen uns
liegt nichts.
Nur die Geschichte,
die euch auf dem Weg
zerbricht.
Amerika bei Penig, DDR 1984
Back to Top